Spannende Grenzüberschreitungen
URAUFFÜHRUNG Jürgen Wuchners „Symphonic Jazz“ in Reinheim: Beifall für eine gekonnte Klangmischung
REINHEIM – Das Kammerorchester der TU Darmstadt ist 35 Jahre alt und feierte dieses Jubiläum am Samstag in der Reinheimer Dreifaltigkeitskirche auch mit „Symphonic Jazz“ von Jürgen Wuchner. Grenzüberschreitungen machten diese Uraufführung spannend.
Wie befreiend frisch und locker wirkte das Grooven im sakralen Bau! Der Bassist Jürgen Wuchner hat als Auftragswerk eine Jazz-Suite für große Orchesterbesetzung mit Tuba, Kammerorchester, Schlagzeug und Aufführung komponiert, die in der Reinheimer Dreifaltigkeitskirche Gelegenheit zum großen Auftritt für den Tubisten Ole Heiland und Schlagzeuger Max Appel bot.
Klassisches Orchester und Jazz-Solisten
Beide sind profunde Musiker und erfolgreiche Mitglieder der Jazzformation „The Bass Tubation“. Statt Courante und Sarabande à la Bach schwang hier Funk, Tango und Blues, es kamen Jazzprofis mit Musikern des klassischen Orchesterapparates zusammen und meisterten die Synthese von Jazz und konzertanter Sinfonik. The Third Stream: Dieser dritte Weg ist ein Experiment, das schon Strawinsky, Gershwin und andere erfolgreich wagten.
Dabei beglückte Wuchner mit erfrischender Originalität der musikalischen Ideen. Statt aufgepeppter Sinfonik lieferte er variantenreiche Stimmungen, die in langsamen Passagen fast impressionistische Anklänge beschworen und, wenn’s musikalisch zur Sache ging, das souverän aufspielende Orchester mit cluster-ähnlich hämmernden Streichern im Modus der Perkussion und reichlich kraftvollen Parallelführungen mit netten Taktwechseln in den Sog des Jazz rissen. Man sah es, das Spiel machte Spaß. Im funkigen Schlusssatz tobte die Tuba, Ole Heiland begeisterte im spannenden Improvisationsdialog mit dem Klarinettisten des Ensembles. Einprägsam auch die nostalgisch schwelgende Oboe in der Ballade.
Aber auch das Eröffnungsstück des Abends, die Capriol Suite von Warlock, lieferte trotz Rückgriff auf Renaissancemusik keine Klangwelt von gestern. Der Dirigent Arndt Heyer zauberte stilsicher atmosphärische Dichte in den allerliebsten kleinen Sätzen mit den charakteristisch kurzen Floskeln und herrlich federndem Gestus. Wie humorig, wenn das Orchester in den „Mattachins“ kreiselte wie eine alte Drehleier.
Mit Mendelssohns Streichersinfonie Nr. 8 B-Dur in der Version für volles Orchester gelang dem Ensemble ein glänzender Abschluss. Da führte Heyer die Musiker zu Höchstleistung mit schlankem und transparentem Klang, blitzsauberen Bläserüberleitungen und präzisen kontrapunktischen Durchführungen. Nur im Adagio hätte er sich mehr Ruhe gönnen können. Das „Minuetto“ gelang triumphierend, und im spannend musizierten Fugatoteil des Schlusssatzes offenbarte Heyer die ganze Pracht des sinfonischen Frühwerkes.
Das temperamentvolle Spiel wirkte mitreißend, der begeisterte Schlussapplaus in der restlos besetzten Kirche war hoch verdient.
Darmstädter Echo, 23. November 2015, Dorothea Buchmann-Ehrle